Krebs und Entzündungen
Zwei Themen, die in enger Verbindung miteinander stehen, sind Krebs und Entzündungen, genauer, Krebs und chronische, bzw. chronisch-systemische Entzündungen. Im Folgenden soll erklärt werden, worin die Unterschiede bei diesen verschiedenen Entzündungs-Entitäten liegen und inwiefern sie die Entstehung und das Fortschreiten einer Krebserkrankung beeinflussen.
Entzündungen: Akut, chronisch, chronisch-systemisch
Eine Entzündung kann zunächst einmal als eine Reaktion des Immunsystems auf einen potentiell schädlichen, oder zumindest als schädlich wahrgenommenen Reiz betrachtet werden. Um diesen Prozess besser nachvollziehen zu können, ist es notwendig, das Immunsystem in seinen Grundzügen zu verstehen.
Das Immunsystem basiert auf einem komplexen Zusammenspiel von Immunzellen, Botenstoffen, Gefäßsystem und Hormonen. Eine weit verbreitete Art, dieses System verständlicher zu machen, ist die Einteilung in ein unspezifisches und ein spezifisches Immunsystem, wobei sich diese beiden Systeme an vielen Stellen gegenseitig beeinflussen. [1,2]
Das Immunsystem gliedert sich in eine unspezifische und eine spezifische Abwehr
Das unspezifische Immunsystem bildet dabei die erste Ebene der Immunabwehr, die zum Beispiel bei Kontakt mit Krankheitserregern unmittelbar reagiert. Hierzu zählen verschiedene Fresszellen, die Bakterien aufnehmen und verdauen, diverse Proteine auf Haut und Schleimhäuten, die den Stoffwechsel von Bakterien stören, sowie ganz simple, physikalisch-chemische Abwehrmechanismen, wie die intakte Haut, die das Eindringen in den Köper verhindert, ein saurer pH, oder auch der Schleimfilm von Schleimhäuten, der Bakterien bindet. All diese Mechanismen wehren wahrscheinlich den Großteil der schädlichen Einflüsse ab, mit denen der Körper täglich konfrontiert wird, ohne, dass überhaupt eine spürbare Entzündung ausgelöst werden muss. [1,2]
Das unspezifische Immunsystem wehrt die meisten schädlichen Einflüsse bereits früh ab
Der spezifische Teil des Immunsystems kommt dann zum Tragen, wenn das unspezifische System eine Gefahr nicht mehr in den Griff bekommt. Die Immunzellen, die bis zu diesem Punkt lokal und ohne deutliche Entzündung gewirkt haben, setzen nun Botenstoffe frei und aktiveren andere Zellen, was verschiedene Konsequenzen hat: Zum einen werden andere, bis hierher inaktive Immunzellen aktiv, die Antikörper produzieren, welche sich genau gegen die aktuelle Bedrohung richten und dadurch eben eine spezifische Abwehr darstellen. Zum anderen bewirken dieselben Botenstoffe verschiedene Reaktionen des Körpers, die in ihrer Gesamtheit als Entzündung wahrgenommen werden. Diese Reaktionen dienen dabei alle auf die ein oder andere Weise dazu, die Arbeit der verschiedenen Bestandteile des Immunsystems zu erleichtern. [1,2]
Das spezifische Immunsystem dient der präziseren Abwehr von Krankheitserregern
So kommt es zu einer gesteigerten Durchblutung des betroffenen Gewebes und zu einer verstärkten Auswärtsfiltration von Flüssigkeit aus den Gefäßen ins umliegende Gewebe. Dadurch sollen zusätzliche Immunzellen in die entsprechende Körperregion gelangen. Das zeigt sich dann als Rötung, Überwärmung und Schwellung des Gewebes. Gleichzeitig steigern die Botenstoffe die Schmerzempfindlichkeit in der betroffenen Region, wodurch diese ruhig gehalten und nicht weiter belastet wird. Und schließlich kommt es zur Freisetzung verschiedener Enzyme, die Proteine spalten und dabei neben Krankheitserregern auch körpereigene Strukturen schädigen – eine Art „Kollateralschaden“, der zu einem vorübergehenden Funktionsverlust des Gewebes führt, dem Körper aber zugleich die Chance gibt, „schwaches“ Gewebe durch neues, ggfs. stärkeres Gewebe zu ersetzen. Auf diesem Weg nutzt der Körper Entzündungen quasi auch, um auf schädliche chemische, oder mechanische Reize zu reagieren, die gar nichts mit Krankheitserregern zu tun haben. Sei es eine Sehnenscheidenentzündung, oder eine Reizung der Speiseröhrenschleimhaut durch die Magensäure, der Körper löst eine Entzündung aus, damit das Gewebe entlastet, in Teilen zerstört und anschließend stärker wiederaufgebaut werden kann. An diesem Punkt wird ersichtlich, dass Entzündungen kein reiner Abwehrprozess sein können, sondern immer auch mit Wachstumsprozessen einhergehen müssen, um den Wiederaufbau des Gewebes zu gewährleisten. [1,2]
Akute Entzündungen zerstören körpereigenes Gewebe und erlauben dem Körper einen gestärkten Wiederaufbau
Diesen ganzen Vorgang der auf- und wieder abflammenden Entzündung mit anschließendem Wiederaufbau bezeichnet man nun als akute Entzündung, die einen integralen Bestandteil von Abwehrprozessen darstellt und als solche im Prinzip nicht als schädlich betrachtet werden kann. Anders sieht es bei chronischen Entzündungen aus. Hierbei liegt ein irgendwie gearteter Reiz vor, der vom Immunsystem nicht in den Griff bekommen wird, sodass er ständig bekämpft werden muss. Dadurch kommt es dauerhaft zur Destruktion von körpereigenem Gewebe, wobei der Wiederaufbau nicht mehr hinterherkommt, was zu einem dauerhaften Umbau des Gewebes führt. Die Folge kann sein, dass das Gewebe zum Beispiel bindegewebig umgebaut wird und ein Organ dadurch immer mehr von seiner ursprünglichen Funktion einbüßt. Beispiele für derartige Prozesse wären chronische Virus-Infektionen der Leber mit dem Hepatitis-B-, oder -C-Virus, die zu Leberfibrosen führen, oder auch chronische Entzündungen der Speiseröhrenschleimhaut, die unbehandelt in einer kompletten Umwandlung der Schleimhautzellen resultieren. [3-5]
Von dieser chronischen, aber lokalisierten Entzündung, kann man nun noch die chronisch-systemische Entzündung abgrenzen, wobei diese Differenzierung nicht absolut streng ist. Unter diesem Begriff versteht man einen Zustand, bei dem einer, oder mehrere Entzündungsherde im Körper für eine kontinuierliche Freisetzung der erwähnten Botenstoffe sorgen, die nun zwar keine akute Entzündung auslösen, dafür aber überall im Körper eine gewisse Wirkung entfalten und dadurch den gesamten Stoffwechsel beeinflussen. Bei diesen „Entzündungsherden“ handelt es sich vor allem, aber nicht ausschließlich, um Entzündungsprozesse der Lunge durch Rauchen und Luftverschmutzung, übermäßiges Fettgewebe im Bauchbereich, einen kranken Darm und Bewegungsmangel. [2]
Ein ungesunder Lifestyle als Grund für chronisch-systemische Entzündungen
Dass Rauchen das Krebsrisiko steigert ist allgemein anerkannt und bedarf wohl keiner zusätzlicher Erläuterung. Weniger offensichtlich ist hingegen der Zusammenhang zwischen Übergewicht, Darmgesundheit und Bewegung auf der einen und chronisch-systemischen Entzündungen auf der anderen Seite.
Übermäßiges Bauchfett unterscheidet sich deutlich von „normalem“ Fettgewebe. Während ein normalgewichtiger Mensch eine gewisse Menge Fett an verschiedenen Stellen im Körper einlagert, wo dieses im Wesentlichen als Energiespeicher fungiert, lagert der Übergewichtige verstärkt Fett im Bauchbereich ein, wo sich aus dem harmlosen Energiedepot immer mehr und mehr ein hochaktives Organ entwickelt, das permanent entzündungsfördernde Botenstoffe und sogar Hormone produziert. [2,6,7]
Es ist nicht restlos geklärt, worauf dieses Phänomen zurückzuführen ist. Möglicherweise versetzt die energetische Überversorgung einzelne Fettzellen in einen Stresszustand. Dadurch gehen diese Zellen zu Grunde, platzen auf und setzen ihr Inneres frei. Diese Zellfragmente sollen nun von Immunzellen beseitigt werden, die bei länger anhaltender Exposition besagte Botenstoffe freisetzen. Solange also ein übergewichtiger Mensch weiterhin zu viel isst, werden die Fettzellen überfüttert, und die Immunreaktion setzt sich fort. [2,6,7]
Übermäßiges Bauchfett fördert chronisch-systemische Entzündungen
Im Darm scheinen vor allem zwei Faktoren eine wichtige Rolle zu spielen: Die dort lebenden Bakterien, sowie die Durchlässigkeit der Darmschleimhaut. Diese Schleimhaut besteht in ihrer obersten Zellschicht aus einem relativ lockeren Zellverband, der die Aufnahme von Flüssigkeit und Nährstoffen ermöglichen soll. Nur so können überhaupt Nahrungsbestandteile von unserem Körper verwertet werden. Einer gängigen Theorie zu Folge soll die Durchlässigkeit dieses Zellverbandes durch ungesunde Ernährung gestört werden, sodass verstärkt bakterielle Abbauprodukte in den Körper gelangen. Diese werden von Immunzellen erkannt, die erneut mit der Freisetzung von Botenstoffe reagieren. [2,8]
Die im Darm lebenden Bakterien, die in ihrer Gesamtheit auch als Mikrobiom, bzw. Darmflora bezeichnet werden, sind wiederum maßgeblich für die Regulation der Durchlässigkeit der Darmschleimhaut verantwortlich. So nutzen viele dieser Mikroorganismen Ballaststoffe aus der Nahrung und setzen diese zu sogenannten kurzkettigen Fettsäuren um, die dann unter anderem die Zellen der Schleimhaut ernähren. Fehlen diese Ballaststoffe, und werden stattdessen vor allem kurzkettige Kohlenhydrate und Zucker zugeführt, fehlt den „guten“ Bakterien die Nahrung, sie werden von „schlechten“ Bakterien verdrängt, die keine kurzkettigen Fettsäuren produzieren, wodurch diese den Schleimhautzellen fehlen und der Darmverband durchlässig wird. [2,8]
Ungesunde Ernährung schadet dem Darm, der ebenfalls chronisch-systemische Entzündungen auslöst
Man kann also festhalten, dass eine ungesunde Lebensweise mit zu hoher Kalorienzufuhr, vielen verarbeiteten Lebensmitteln und wenig Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten und generell ballaststoffreichen Lebensmitteln einen Zustand chronisch-systemischer Entzündung fördert. Dabei sollte man auch noch erwähnen, dass Bewegung diesem Zustand auf mehreren Ebenen entgegenwirkt. So hilft Bewegung zum Einen durch den erhöhten Energieverbrauch, Übergewicht vorzubeugen und sorgt zum Anderen für die Freisetzung entzündungshemmender Botenstoffe aus den Muskeln. Insofern kann das Fehlen von Bewegung ebenfalls als Auslöser chronisch-systemischer Entzündungen betrachtet werden. [2,6-8]
Krebs und chronisch-systemische Entzündungen
Nun stellt sich die Frage, inwiefern chronisch-systemische Entzündungen die Entstehung, oder das Fortschreiten von Krebs begünstigen können. Um das zu verstehen, muss man sich vor Augen führen, was Krebs eigentlich ist, und inwiefern diese Erkrankung durch eine dysregulierte Immunantwort beeinflusst werden kann.
Krebs kann grundlegend als fehlreguliertes Wachstum eines Gewebes verstanden werden. Im Körper finden ständig Auf- und Abbauprozesse statt, bei denen es permanent zu Zellteilungen kommt. Im Rahmen dieser Zellteilungen muss das Erbgut, die DNA, ständig kopiert und repliziert werden, wobei Fehler entstehen können. Man spricht von einer Mutation. Betrifft diese Mutation ein Gen, das an der Regulation von Wachstumsprozessen beteiligt ist, kann es passieren, dass sich die Aktivität dieses Gens ändert. Es kann entweder zu aktiv werden und Wachstumsprozesse zu sehr antreiben, oder es wird inaktiv und hört auf, Wachstumsprozesse zu hemmen. In beiden Fällen kann das Ergebnis sein, dass zunächst eine und mit der Zeit immer mehr Zellen sich unkontrolliert teilen und wachsen. [9]
Krebs basiert auf Mutationen von Genen der Wachstumsregulation
Derartige Prozesse finden ständig im Körper statt, wobei die meisten davon mit Hilfe von Reparaturmechanismen frühzeitig erkannt und die Fehler beseitigt werden. Problematisch wird es eigentlich erst dann, wenn dieser Vorgang immer häufiger stattfindet und wenn die einmal mutierten Zellen weitere Mutation durchmachen und in ihrem Wachstum zusätzlich gefördert werden. An dieser Stelle kommen dann krebserregende Substanzen und krebsfördernde Verhaltensweisen ins Spiel. [9]
Zum einen können krebsauslösende Stoffe wie Tabak direkt zu neuen Mutationen führen und zugleich in bereits mutierten Zellen weitere Replikationsfehler auslösen, sodass die Reparaturmechanismen nicht mehr hinterherkommen. Zum anderen können wachstumsfördernde Reize wie manche Hormone, aber eben auch entzündungsfördernde Botenstoffe den ganzen, unkontrollierten Wachstumsprozess stimulieren. Die gleichen, oder zumindest ähnliche Mechanismen, die dafür sorgen, dass nach einer akuten Entzündung neues, stärkeres Gewebe aufgebaut wird, bedingen dadurch bei Krebs, dass der sich entwickelnde Tumor ebenfalls wächst. [9.10]
Mit der Zeit kann der Tumor diesen Prozess sogar zusätzlich verstärken, indem er weitere Immunzellen anlockt und zugleich im Rahmen seiner Ausbreitung gesundes Gewebe schädigt, welches von Immunzellen quasi abgeräumt werden soll. Außerdem ermöglichen die chronischen Entzündungen, dass der Tumor für die Immunzellen, die ihn eigentlich bekämpfen sollten, unsichtbar wird, um noch unkontrollierter wachsen zu können. [10]
Chronische Entzündungen fördern das Tumorwachstum und helfen dem Tumor dabei, sich vor dem Immunsystem zu tarnen
Es ist schwer zu gewichten, wie groß nun der tatsächliche Einfluss chronischer Entzündungen auf das Krebsrisiko ist, auch weil die meisten Krebsarten durch verschiedene Faktoren begünstigt werden. Ungefähre Schätzungen belaufen sich auf 20% der Tumoren, die durch chronische Infektionen begünstigt werden, 30% die mit chronisch-entzündlichen Prozessen der Lunge zu tun haben, und 35%, die mit der Ernährung und darüber mit Übergewicht und Darmgesundheit in Verbindung stehen. [11]
Auch wenn diese Zahlen nur Schätzungen darstellen, kann man an ihnen erkennen, welches präventive Potential in der Reduktion chronisch-systemischer Entzündungen steckt. Durch eine gesunde Ernährung mit angemessener Kalorienzufuhr, reichlich Bewegung und dem Verzicht auf Tabak ist es möglich, ein dysreguliertes Immunsystem wieder in die richtigen Bahnen zu lenken und dadurch nicht nur das Risiko für Krebs, sondern auch für Herzkreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Fettleber, Niereninsuffizienz, Osteoporose, Depressionen, Autoimmunerkrankungen und sogar Alzheimer effektiv zu senken. [2]
Quellen:
[1] https://www.amboss.com/de/wissen/Immunsystem
[2] Furman, D., Campisi, J., Verdin, E., Carrera-Bastos, P., Targ, S., Franceschi, C., … Slavich, G. M. (2019). Chronic inflammation in the etiology of disease across the life span. Nature Medicine. https://doi.org/10.1038/s41591-019-0675-0
[3] https://www.amboss.com/de/wissen/Hepatitis_B
[4] https://www.amboss.com/de/wissen/Hepatitis_C
[5] https://www.amboss.com/de/wissen/Gastroösophageale_Refluxkrankheit
[6] Kershaw, E. E., & Flier, J. S. (2004). Adipose tissue as an endocrine organ. The Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism, 89(6), 2548–2556. https://doi.org/10.1210/jc.2004-0395
[7] Samson, S. L., & Garber, A. J. (2014). Metabolic syndrome. Endocrinology and Metabolism Clinics of North America. https://doi.org/10.1016/j.ecl.2013.09.009
[8] Chakaroun, R. M., Massier, L., & Kovacs, P. (2020). Gut microbiome, intestinal permeability, and tissue bacteria in metabolic disease: Perpetrators or bystanders? Nutrients. https://doi.org/10.3390/nu12041082
[10] Galdiero, M. R., Marone, G., & Mantovani, A. (2018). Cancer Inflammation and Cytokines. Cold Spring Harbor Perspectives in Biology, 10(8). https://doi.org/10.1101/cshperspect.a028662
[11] Grivennikov, S. I., Greten, F. R., & Karin, M. (2010). Immunity, Inflammation, and Cancer. Cell, 140(6), 883–899. https://doi.org/10.1016/j.cell.2010.01.025